RHD-NIPT und RH-Varianten
Seit Mitte 2022 bietet das Labor 28 die fetale Rhesustypisierung mittels nicht-invasivem Pränataltest (RHD-NIPT) bei RhD-negativen Schwangeren an. In seltenen Fällen können hierbei RH-Varianten der Mutter oder des Kindes entdeckt werden. Unsere Erfahrungen im ersten Jahr mit dem RHD-NIPT sowie mütterlichen und fetalen RH-Varianten haben wir im September 2023 auf dem Kongress der „Deutschen Gesellschaft für Transfusionsmedizin und Immunhämatologie“ (DGTI) vorgestellt.
DR. MED. LUKAS WAGNER
Im Zeitraum von Juli 2022 bis Juli 2023 konnten wir 1162 RhD-negative Schwangere mittels RHD-NIPT untersuchen. 429 Schwangeren (ca. 37 %) blieb als Folge eines RHD-negativen Ergebnisses die präpartale Rh-Prophylaxe erspart. Bei 719 Schwangeren (ca. 62 %) war bei nachgewiesener RHD-Positivität des Feten eine Rh-Prophylaxe indiziert. In 14 Fällen (1,2 %) bestand hingegen der Verdacht auf eine maternale bzw. fetale Variante am RH-Lokus, mit denen wir uns nachgehend näher beschäftigen.
Einsteigen möchten wir in die RH-Varianten im RHD-NIPT mit einem interessanten Fall: Im August 2022 meldete sich bei uns eine Hebamme, die seinerzeit eine RhD-negative Schwangere in der 23. SSW betreute. In der 13. SSW war ein RHD-NIPT durchgeführt worden, der einen RHD-positiven Feten ergab. Grund ihres Anrufes war, dass sich die werdenden Eltern über das RHD-positive Ergebnis ihres Kindes wunderten – waren doch der Vater anhand seines vorliegenden Blutspendeausweises sowie die Mutter RhD-negativ!
Erfreulicherweise stand für alle Beteiligten zu keinem Zeitpunkt die Vaterschaft in Frage. Handelte es sich daher schlicht um eine falsch-positive Typisierung? Die Untersuchung in der 13. SSW erfolgte vor Einführung des RHD-NIPT im Labor 28 in einem Partnerlabor. Der dortige Test beruhte auf einem Nachweis des Exon 4 des RHD-Gens.
Die Methode im Labor 28 weist die Exone 5, 7 und 10 des RHD-Gens nach. In der Kontrolle des RHD-NIPT in der zwischenzeitlich 25. SSW ließen sich auch im Labor 28 RHD-spezifische Sequenzen beim Feten nachweisen – auffallend war allerdings, dass sich das Exon 5 reproduzierbar nicht nachweisen ließ. Das Kind hatte also offensichtlich kein „normales“ RHD-Gen von seinem Vater geerbt, sondern es bestand der V. a. eine kindliche RHD-Variante.
Varianten des RHD-Gens können zu einer fehlenden, qualitativ und/oder quantitativ veränderten sowie manchmal sogar unveränderten Expression des RhD-Merkmals führen (siehe Labor 28-Magazin #67: RhD-Varianten: Mehr als [nur] positiv und negativ). Anhand des serologischen Status des Vaters war beim Kind ein RHD-Allel mit fehlender (oder zumindest deutlich abgeschwächter) RhD-Expression zu erwarten.
Molekulare Grundlage der RhD-Negativität bei Kaukasiern ist ganz überwiegend (> 99 %) eine homozygote, vollständige Deletion des RHD-Gens, was die molekulare Voraussetzung für den RHD-NIPT in dieser Population darstellt (siehe Labor 28-Magazin #65: Gezielte Rhesusprophylaxe – Was ändert sich?). Bei anderen Ethnien können andere Genotypen vorliegen, bei denen das RHD-Gen nicht komplett deletiert ist, sondern aufgrund geringfügigerer, molekularer Veränderungen nicht exprimiert werden kann. Hierbei liegt zwar ein RHD-Allel vor (genetisch RHD-positiv), wird aber aufgrund der Mutationen nicht exprimiert (serologisch RhD-negativ).
Ein klassisches und insbesondere bei Personen mit afrikanischen Wurzeln häufiges RHD-Allel ohne Expression ist das Pseudogen RHD*Ψ (RHD-Psi). RHD*Ψ weist fünf Punktmutationen in den codierenden Bereichen auf. Drei dieser Punktmutationen liegen eng beieinander (c.654G > C, c.667T > G, c.674C > T) im Exon 5.
Bei Vorliegen eines kindlichen RHD*Ψ ist aufgrund der drei Mutationen im untersuchten Exon 5 eine fehlende bzw. verminderte Amplifikation des Exons zu erwarten. Bei Müttern mit RHD*Ψ konnten wir eine entsprechende Beobachtung bereits machen. Unter Berücksichtigung des väterlichen Phänotyps vermuteten wir daher ein kindliches RHD*Ψ, welches der Fet von seinem Vater geerbt haben musste.
Nun hieß es bis zur Geburt zu warten: Denn es gilt, von extrem seltenen Ausnahmen abgesehen: Kinder serologisch RhD-negativer Eltern sind serologisch ebenfalls RhD-negativ. Das heißt, spätestens bei der serologischen Typisierung des Neugeborenen klärt sich eine mögliche Diskrepanz. Und tatsächlich erhielten wir zu Beginn des Jahres 2023 die (beruhigende) Rückmeldung, dass das Kind – passend zu seinen Eltern – ebenfalls serologisch RhD-negativ war!
Wie dieser Fall zeigt, können kindliche Varianten am RH-Lokus zu vermeintlichen Diskrepanzen führen. Das Kind ist hierbei genetisch RHD-positiv, das RHD-Gen kann aber je nach Variante nicht bzw. verändert exprimiert werden. Mit einem Ansatz, der drei RHD-Exone nachweist, können einige dieser kindlichen RH-Varianten erkannt werden. Wir stellten bei 0,3 % unserer Untersuchungen den V. a. eine fetale RH-Variante.
Da lediglich drei Stellen des RHD-Gens mit dem RHD-NIPT untersucht werden, ist keine sicherere Ableitung eines fetalen Genotyps bei dem Ausfall eines oder zweier Exone möglich. Der isolierte Ausfall des Exon 5 wäre z. B. ebenfalls bei den D-Kategorien V und VI zu erwarten. Zeigen sich entsprechende Ausfälle, weisen wir auf eine mögliche RHD-Variante des Kindes hin. Da das Kind serologisch RhD-negativ aber auch RhD-positiv sein bzw. eine veränderte RhD-Expression zeigen kann, ist in diesen Fällen die Gabe der präpartalen RhD-Prophylaxe erforderlich. Die postpartale Prophylaxe erfolgt anhand der serologischen Bestimmung beim Neugeborenen.
In 0,9 % der Fälle konnten zusätzlich mütterliche RHD-Varianten gefunden werden. In diesen Fällen ist aus molekulargenetischen Gründen der RHD-NIPT nicht möglich, da bei vorliegenden mütterlichen RHD-Sequenzen die entsprechenden kindlichen Sequenzen ‚verdeckt werden‘.
Bei RHD-Varianten der Mutter muss daher die präpartale Rh-Prophylaxe wie bis Mitte 2021 ungezielt erfolgen. Die postpartale Rh-Prophylaxe richtet sich auch hier nach dem Ergebnis der postnatalen serologischen Bestimmung.
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Literatur:
- Wagner L, Saussenthaler S, Schnurrer F, Vergopoulos A. One-year experience with a triple exon RHD NIPT and detection of maternal and fetal RH variants. Poster PS-4-24, präsentiert auf der 56. Jahrestagung der DGTI. 21. September 2023.