Diphtherie – eine Erkrankung kehrt zurück
Heutzutage werden Errungenschaften der modernen Medizin, insbesondere auch die Infektionsprävention, aus verschiedenen, oftmals aus medizinischer Sicht nicht nachvollziehbaren Gründen argwöhnisch betrachtet. Somit können bestimmte, totgeglaubte Infektionserreger auch in Deutschland wieder zu einem ernsten gesundheitlichen Problem werden. Dies betrifft auch das Krankheitsbild der Diphtherie (Erreger: hauptsächlich Corynebacterium diphtheriae, aber auch C. ulcerans und C. pseudotuberculosis), eine impfpräventable Erkrankung, die in jedem infektiologischen Standardwerk beschrieben ist.
DR. MED. JOHANNES FRIESEN
Abbildung: Mikroskopische Aufnahme mehrerer grampositiver Corynebacterium diphtheriae-Bakterien, gefärbt mit Methylenblau. © Wikimedia, Public Health Image Library (PHIL)
Das verursachende Agens bei den genannten Erregern ist das Diphtherie-Toxin, ein Zellgift, das die Proteinbiosynthese hemmt. Ein aktueller tragischer Fall von schwerer Diphtherie bei einem aus dem Raum Berlin-Brandenburg stammenden Kind, der offiziell von den zuständigen Gesundheitsbehörden bestätigt wurde, soll Anlass für diesen Artikel sein.
Unterschieden werden die Tonsillen-/Rachendiphtherie, die Nasendiphtherie, die Kehlkopfdiphtherie (Krupp) sowie die Haut- und Wunddiphtherie. Die Ausprägung der klinischen Symptomatik ist vom Impfstatus abhängig. Klinisch wegweisend bei Tonsillen- und Rachendiphtherie sind die sogenannten Pseudomembranen und die darunter befindliche blutige Schleimhaut, die nur schwer freigelegt werden kann. Neben den beschriebenen lokalen Manifestationen können bei unzureichend geimpften Personen schwerwiegende Krankheitsverläufe mit hoher Letalität auftreten, die verschiedene Organsysteme betreffen, z. B. das Herz (Myokarditis, Arrhythmien), die Niere (Nephritis) und die Leber.
Den letzten großen Diphtherieausbruch gab es in Deutschland zwischen 1942 und 1945 mit mehreren hunderttausend Erkrankten. Seit den 1960er-Jahren wird in Deutschland (BRD und DDR) gegen die Diphtherie mit einem Diphtherietoxoid-Impfstoff geimpft. In der DDR gab es von 1974–1989 höchstens zwei Diphtheriefälle pro Jahr. Auch in der BRD waren die Fallzahlen seit den 1980er-Jahren bis zur Wiedervereinigung meist einstellig. 2021 wurden neun Erkrankungen registriert. 2022 kam es zu einem sprunghaften Anstieg; es wurden 149 Diphtherie-Erkrankungen durch C. diphtheriae an das RKI übermittelt. Vorwiegend handelte es sich um Hautdiphtherie bei Geflüchteten. Es muss davon ausgegangen werden, dass heutzutage wieder mehr toxigene Diphtheriebakterien im Umlauf sind. Zu beachten ist dabei, dass Geimpfte durchaus Keimträger sein können und toxigene Corynebacterium-Stämme somit an Ungeimpfte weitergeben können, da der Impfstoff nur gegen das Toxin gerichtet ist.
Bereits bei V. a. respiratorische Diphtherie muss sofort die Antitoxingabe erfolgen inklusive einer antibiotischen Therapie. Hierzu muss der Patient schnellstmöglich ins Krankenhaus eingewiesen werden. Die Antitoxingabe muss im stationären Setting durchgeführt werden, da das allergene Potenzial des Pferdeserums hoch ist. Das Antitoxin wird in Notfalldepots der Landesapothekerkammern bereitgehalten.
Der klinische V. a. Diphtherie, die Erkrankung und der Tod sind dem Gesundheitsamt nach § 6 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) umgehend mitzuteilen. Die Meldung erfolgt durch den behandelnden Arzt. Für Toxin-positive Corynebacterium-Stämme besteht eine Meldepflicht nach § 7 des IfSG.
Enge Kontaktpersonen eines an respiratorischer Diphtherie erkrankten Indexpatienten sollten mittels Nasen- und Rachenabstrich (Tupfer im Transportmedium) auf Diphtherieerreger untersucht werden. Direkt im Anschluss an die Abstrichentnahme sollte eine antibiotische Postexpositionsprophylaxe (z. B. Erythromycin oder andere Makrolide) durchgeführt werden. Eine postexpositionelle Auffrischimpfung sollte bei grundimmunisierten Kontaktpersonen durchgeführt werden, wenn die letzte Impfung mehr als fünf Jahre zurückliegt.
Die Grundimmunisierung mit Diphtherieimpfstoff bei Säuglingen wird laut Ständiger Impfkommission am Robert Koch-Institut (STIKO) zusammen mit den Impfstoffen gegen Tetanus, Pertussis, Polio, Haemophilus influenzae Typ b und Hepatitis-B-Virus verabreicht. Die Impfungen sollen in den Lebensmonaten 2, 4 und 11 erfolgen. Auffrischimpfungen sollten im Alter von 5–6 und 9–16 Jahren durchgeführt werden. Im Erwachsenenalter sollten Auffrischimpfungen alle 10 Jahre erfolgen. Ungeimpfte sollten zwei Impfstoffdosen im Abstand von 4–8 Wochen erhalten. Eine dritte Dosis sollte 6–12 Monate nach der zweiten Dosis verabreicht werden.
Zusammenfassend muss gesagt werden, dass die Bedeutung der Impfung gegen Diphtherie nicht unterschätzt werden darf und in der Ärzteschaft ein Abweichen von den STIKO-Impfempfehlungen abgelehnt werden muss – insbesondere dann, wenn es sich nicht um medizinische, sondern um weltanschauliche Begründungen handelt.
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Literatur
- RKI-Ratgeber für Ärzte. www.rki.de
- RKI. Infektionsepidemiologisches Jahrbuch für 2022
- Deutsche Gesellschaft für Pädiatrische Infektiologie (DGPI) Handbuch. 7. Auflage
- Epidemiologische Bulletin 4/2024